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Scott Brinker ist der „Godfather of MarTech“. In seinem Vortrag im April 2020 referierte er über die Marketing Technology Landscape – und über die hochspannende Entwicklung, die er in dieser Landschaft in den vergangenen Jahren beobachtet hat.
Was ist MarTech?
MarTech ist ein Kürzel für Marketing Technologie, also Technologie zur Optimierung des Marketings. Dies ist vor allem für Marketing im digitalen Bereich prädestiniert, da hier die Verbindung zur Technologie sowieso schon vorhanden ist.
MarTech ist eine Art Liste, die Marketing Technologien aufführt und deren Entwicklung über viele Jahre beobachtet. MarTech wurde 2011 durch Scott Brinker, Editor des Marketing Technologist Blog Chiefmartec.com und Autor des Buches „Hacking Marketing“, geprägt und wird seitdem jedes Jahr von ihm neu editiert und ergänzt. Bekannt wurde Brinker vor allem als der Kopf hinter der „Marketing Technology Landscape Supergraphic“, einer grafisch aufbereiteten und sorgsam kategorisierten Liste von Marketing Tools, die inzwischen zu enormer Grösse angewachsen ist. Durch seine jahrelange Beobachtung dieses Marktes ist er auch zu einem der führenden Spezialisten für Marketing Technologien geworden, was er in diesem Vortrag eindrucksvoll unter Beweis stellte.
Wie ticken Marketing Technologists?
Brinker leitete seinen Vortrag mit einem Abriss über die Denkweise von Marketing Technologists ein. Dabei gibt es seiner Ansicht nach vier Richtungen: Der „Process Orientation“ steht die „Technology Orientation“ gegenüber, die „Internal Orientation“ bildet den Gegensatz zu „External Orientation“. Das ergibt die vier Aufgaben Marketing Operations (CRM/MAP Admin), Marketing Manager/Growth Marketer, Marketing Analyst/DataScientist/Data Engineer und schliesslich Marketing Engineer/Web Developer/AppDeveloper. Den Marketern der Process Orientation stehen somit die Techniker der Technology Orientation gegenüber.
Brinker gibt diesen vier Funktionen einfache, griffige Namen: Maestro, Marketer, Modeller und Maker. Welche Tools setzen diese Vier ein?
- Der Maestro ist der Operations Orchestrator. Er arbeitet zu 76% mit MAP, zu 70% mit Spreadsheets, zu 61% mit CRM/CDP und zu 55% mit Project mgmt.
- Der Marketer ist der Brand/Demand Builder. Er benutzt zu 75% MAP, zu 68% Spreadsheets, zu 59% CRM/CDP und zu 45% Analytics.
- Der Modeller ist der Analytics Architect: 73% Spreadsheets, 60% Analytics, 53% CRM/CDP und 57% BI.
- Der Maker ist der Marketing Maker: Bei ihm sind es 69% MAP, 69% Analytics, 54% CMS und 39% dev tools.
Scott Brinkers Marketing Landschaft
In seiner Marketing Technology Landscape visualisiert Brinker in ihrer neuesten Edition als komplexe Supergrafik 8000 Marketing Solutions in Form einer Landkarte zu einer Marketing Landschaft – aufgeteilt in die sechs Bereiche Advertising & Promotion, Content & Experience, Social & Relationships, Commerce & Sales, Data sowie Management. Diese sechs Bereiche schwimmen auf der Landkarte wie Insel in einem imaginären Ozean.
MarTech wurde 2011 durch Brinker erfunden und seitdem jedes Jahr neu editiert und ergänzt. Was im ersten Jahr noch 150 Digital Marketing & Technology Tools enthielt, ist in der neuesten Ausgabe auf stolze 8000 Stück angewachsen – ein Wachstum von satten 5’233 Prozent. Alleine das Wachstum von 2019 zu 2020 beträgt 13,6 Prozent.
Dabei wird aber nicht immer nur ergänzt und ergänzt: Auch 615 Lösungen wurden für die neueste Ausgabe entfernt, eine Rate von 8,7 Prozent. Hinzu gekommen sind auf der anderen Seite 1’575 neue Lösungen. Bisher war die Marketing Landscape eine Tabelle mit sechs Spalten, die neueste Ausgabe visualisiert ihren Inhalt als eine Art Landkarte, bei der die sechs Bereiche wie Inseln in einem imaginären Ozean schwimmen.
Brinker skizzierte die von ihm beobachteten Tendenzen: Am stärksten gewachsen ist der Bereich Data mit 25,5 Prozent, Nummer zwei ist Management mit 15,2 Prozent, dicht gefolgt von Social & Relationships mit 13,7 Prozent. Auf den Plätzen vier bis sechs finden sich die schwächer gewachsenen „Inseln“ Commerce & Sales (plus 9,0 Prozent), Content & Experience (plus 5,6 Prozent) und als Schlusslicht Advertising & Promotion mit einem Plus von vergleichsweise bescheidenen 4,1 Prozent. In den Subkategorien weisen „Conversational Marketing & Chat“ mit 70 Prozent und „Governance, Compliance & Privacy“ mit 68 Prozent die beeindruckendsten Wachstumsschübe auf.
Die MarTech 2020 Landscape wird als Crowdsourcing zur Verfügung gestellt: Die Daten sind als Excel-Spreadsheet für alle verefügbar, jeder kann neue Lösungen hinzufügen oder updaten oder „Karteileichen“ melden und damit zu einer noch besseren Nutzbarkeit dieser Landkarte beitragen.
Eine Zeit der Konsolidierung
Aber wächst die Marketing Landscape wirklich immer nur weiter? Oder gibt es nicht langsam eine Konsolidierung? Die MarTech Industrie ist bereits konsolidiert, so Brinker: Während der „Kopf“ aus ein paar Dutzend Plattformen besteht und der „Torso“ aus ein paar hundert Kategorieführern, gehen die „specialist apps and components“ im „long tail“ bereits in die Tausende – und die „ecosystem and citizen apps“ im “long, long tail” in die Zehntausende.
Laut Brinker beschreibt die Kurve aus der App Diversity in Relation zur Zeit keine gerade aufsteigende Linie, sondern eine Wellenform, die mit periodischen Schwankungen zwar im Wesentlichen nach oben geht, aber immer wieder um den lokalen “peak martech” schwankt.
So war 2019 die Zahl der MarTech Solutions in den Quartalen zwei und drei am höchsten und im Quartal vier am niedrigsten im Vergleich zu Ad Tech, Digital Content und D2C (die weitaus geringere Schwankungen im Jahresverlauf hatten).
Alles ändert sich – oder doch nicht?
In der digitalen Welt herrscht ein rasanter Wandel. Kein Stein scheint auf dem anderen zu bleiben. Aber ist das wirklich so? Nicht ganz, denn vier Dinge ändern sich nicht:
- More digital
- More software
- More “no code”
- Drive to differentiate
So konnte Brinker in den ersten Monaten des Jahres 2020 durch die Corona-Krise einen deutlichen Einbruch und eine anschliessende leichte Erholung beobachten. Am Ende war der Market Value im Bereich MarTech um 8 Prozent gesunken – im Bereich S&P aber um 25 Prozent und im Bereich Ad Tech sogar um 32 Prozent. MarTech hat die Corona-Krise also vergleichsweise gut überstanden.
Die durchschnittliche Zahl von Cloud Services pro Unternehmen ist von 2016 bis 2019 von 1022 auf 1295 gestiegen. Der SaaS Spend ist in den vergangenen fünf Jahren bei kleinen und mittleren Unternehmen stetig bergauf gegangen, während er bei grossen Unternehmen seit 2018 nicht mehr weiter ansteigt. Auch haben kleine Unternehmen in Relation zur Mitarbeiterzahl eine ungleich höhere Anzahl an Apps als grössere (grob gesagt ungefähr doppelt so viele Apps bei zehnfacher Grösse).
Die SaaS-Ausgaben pro Abteilung verschoben sich deutlich zwischen 2012 und 2019: Während der Bereich S&M (Sales, Marketing, Customer Support) mit geringen Schwankungen halbwegs gleich blieb, ging R&D (Product, Engineering, Dev Ops) stark zurück – vor allem zu Gunsten von IT & Security sowie Human Resources, die 2012 nur eine untergeordnete Rolle spielten.
Umfragen weisen auf zweites Goldenes Zeitalter hin
Umfragen geben Aufschluss über die bevorzugte Methode zur Auswahl von Marketing Technologies: 29 Prozent bevorzugten Integrated Suite Approach, während 57 Prozent einen Best-of-Breed Approach den Vorzug gaben. 14 Prozent hatten keine besondere Vorliebe in dieser Hinsicht.
Die Umfrage „Ascend2 Martech Stack Optimization Survey“ stellte im Februar 2020 die Frage „Welche Funktionen sollten die Technologien verbessern, um eine Optimierung des Marketings zu erlauben?“. Die Antwort fiel deutlich aus: 57 Prozent der Befragten nannten die Benutzerfreundlichkeit an oberster Stelle, gefolgt von Integrierbarkeit mit anderen Technologien im Stapel (50 Prozent) und der Handhabbarkeit der Daten mit 41 Prozent. Die Anpassbarkeit der Technologien an spezielle Bedürfnisse, die Möglichkeit zur Prozessautomatisierung und die Fähigkeit zur Verbesserung der Customer Experience wurden von jeweils 32 bis 37 Prozent genannt. Abgeschlagen auf dem letzten Platz lag die Benutzung von Künstlicher Intelligenz und Machine Learning mit nur 18 Prozent. Von den Software-Unternehmen wurden andererseits drei Gründe für das Upgrade einer Applikation genannt: Bessere Features, bessere Integration und Kostenreduzierung – zu jeweils 32 Prozent genau gleich auf.
Wohin geht die Reise? Brinker sieht auf das „First Golden Age of Martech“ gleich ein zweites Goldenes Zeitalter folgen, in dem das Modell „suite vs. best-of-breed“ abgelöst wird von Plattform-Ökosystemen, in dem das Modell „software vs. services“ übergeht in „blended models of software and Services“ und das Modell „build vs. buy“ in „customs apps on a common core“. So können „Platform Ecosystems“ Integrationsbarrieren reduzieren, Plattform-Netzwerkeffekte beschleunigen und ein spezielles Publikum ansprechen. „Blended Models of Software and Services“ können Ergebnisse statt nur Software erbringen, Kunden die gerade benötigten Fähigkeiten bieten und auf diese Art Gewinn und Profit steigern. „Custom apps on a common core“ können Geschäftsmodelle hervorbringen, die so unterschiedlich wie Schneeflocken sind, obwohl sie auf derselben Chemie basieren, und die dezentralisierte Benutzung durch selbstständige Nutzer erlauben.
Beobachter einer dynamischen Entwicklung
Kein anderer hat die Landschaft der Marketing Technologien in den letzten neun Jahren so intensiv beobachtet wie Scott Brinker. Sein Vortrag erlaubte äusserst spannende Einblicke in die aktuellen Entwicklungen, die diese Landschaft gerade verändern, und festigte seine Reputation als „godfather of MarTech“ auf eindrucksvolle Art.